21. Juli 2023 Gedenktag für verstorbene Drogenkonsument:innen

Anlässlich des diesjährigen „Gedenktages für verstorbene drogengebrauchende Menschen“ am 21. Juli 2023 öffnet der Suchthilfeverbund Duisburg e.V. am Standort Hamborn, Rathausstr. 2, in der Zeit von 10 bis 13 Uhr, seine Türen für Angehörige, Nachbarn und alle interessierten Bürgerinnen und Bürger.

Wir möchten mit Betroffenen in Gespräch kommen, die sich von verstorbenen Angehörigen oder Freunden in den vergangenen Jahren verabschieden mussten. Außerdem berichten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Drogenberatung sowie die Streetworkerinnen über ihre Arbeit.

Darüber hinaus findet in der Zeit vom 7. Juli bis zum 28. Juli 2023 eine Schaufensteraktion in der Bahnhofspassage des Duisburger Hauptbahnhofs statt. Die Abteilung für Sucht- und Drogenprävention der Polizei Duisburg stellte uns die Ausstellungsfläche zur Verfügung.

 

Der Suchthilfeverbund nutzt die Gelegenheit den zahlreichen Passant:innen und Reisenden das Thema „Drogentote in Duisburg“ näher zu bringen. Es geht um die Auseinandersetzung mit den Fragen: „Wieso kann sowas heute noch passieren?“, „Wie ließe sich eine Überdosierung verhindern?“ und „Warum sollte das Thema uns alle interessieren?“ „Welche Angebote bietet der Suchthilfeverbund?“.

Der Gedenktag geht auf eine Initiative von Angehörigen eines Drogentoten zurück und wurde zum ersten Mal 1998 begangen. Es soll auf die Entstehung und die Folgen von Drogenabhängigkeit sowie auf die Risiken des Drogenkonsums aufmerksam gemacht werden. Die Idee wurde deutschlandweit von vielen Organisationen der Drogen– und Aids-Hilfe aufgegriffen und die Bewegung weitete sich auch international aus. Jedes Jahr erinnern Eltern und Angehörige, Freundinnen und Freunde und solidarische Mitbürgerinnen und Mitbürger im Rahmen von Gedenkveranstaltungen und Aktionen an Menschen, die infolge ihres Drogenkonsums verstorben sind.

Weitere Informationen zu Aktionen finden Sie unter www.gedenktag21juli.de

 

1.990 Drogenkonsumierende starben im vergangenen Jahr in Deutschland an einer Überdosis oder an den Langzeitfolgen des Drogenkonsums, Duisburg zählte 46 Drogentote.

In jeder Stadt leben drogenabhängige Menschen. Einige leben völlig unerkannt ihr Leben in der Mitte der Gesellschaft: sie gehen arbeiten, gründen Familien und leben in Partnerschaften. Andere jedoch leben auf der Straße, sehen verwahrlost aus, konsumieren und sterben öffentlich.

Sucht hat viele Gesichter. Und hinter jeder Sucht steckt eine individuelle (Leidens-) geschichte, in der, neben dem Protagonisten, auch die Angehörigen, Freunde und Bekannte eine oft hilflose und verzweifelte Rolle spielen.

 

Sucht fordert Opfer

 

Die Zahl der Drogentoten steigt jährlich an. Auch in Duisburg hat sich die Zahl der Drogentoten von 2020 auf 2021 mehr als verdoppelt und ist auch 2022 nochmal im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Zurück bleiben Eltern, Kinder, Geschwister und Freunde, die häufig einen langen Kampf gefochten und diesen letztendlich verloren haben. Über die möglichen Ursachen kann nur spekuliert werden. Auffällig ist, dass die Zahl der Drogentoten mit Beginn der Corona-Pandemie 2020 und den damit einhergehenden Schließungen von Beratungs- und Kontaktangeboten und dem Verbot von Versammlungen schlagartig gestiegen ist. Es wurden weniger Spritzen getauscht, Konsumplätze konnten nicht oder schlechter genutzt werden und schnelle Hilfen waren nur bedingt verfügbar. Die Klient:innen waren eher gezwungen, allein zu konsumieren. Auch die Einsamkeit machte vielen zu schaffen. Doch auch überraschende Haftentlassungen – mit Pandemiebeginn gab es zahlreiche Haftbegnadigungen – führen immer wieder dazu, dass sich Klient:innen überschätzen und zu viel konsumieren.

2022 kam es in Duisburg zu 46 dokumentierten Todesfällen, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Konsum von Drogen standen. Nicht festgehalten sind all jene, die an den Folgeschäden verstorben sind. „Na und?“ mag manch eine/r denken. „Ist doch selbstverschuldet.“ Wir kennen diese Aussagen. Und ja, es stimmt. Irgendwann im Laufe des Lebens hat ein heute abhängiger Mensch die Entscheidung getroffen, eine Droge zu probieren. Vielleicht aus Neugier, möglicherweise aus Verzweiflung oder zur Selbstmedikation erlittener Traumata oder psychischer Erkrankungen. Aus Gruppenzwang? Die Konsumgründe sind so vielfältig wie die Menschen.

 

Sucht kennt keine sozialen Schichten

 

Eine Sucht kann jeden treffen. Vielleicht sind nicht alle gleichermaßen gefährdet und doch ist keine/r davor gefeit. Die Entwicklung einer Sucht ist ein Zusammenspiel aus persönlichen Voraussetzungen, der konsumierten Substanz und der aktuellen Lebenssituation. Wobei die persönlichen Voraussetzungen weniger Auskunft geben, ob jemand stark oder schwach ist. Es geht vielmehr darum, was der Einzelne an Erfahrungen und Veranlagungen mitbringt. Sucht ist nicht per se vererbbar, aber die Veranlagung, eine Sucht zu entwickeln. Diese Veranlagung macht verwundbarer. Sie ist quasi die Achillesferse, sodass die Betroffenen besonders achtsam mit Suchtmitteln umgehen sollten. Aber auch Charaktereigenschaften wie Extrovertiertheit und Introvertiertheit spielen eine Rolle. Bin ich eher neugierig und risikobereit? Dann probiere ich vielleicht eher verschiedene Drogen aus, einfach weil es mich reizt und ich mich schneller langweile als andere. Das sind häufig Kosument:innen, die viel ausprobiert und getestet haben, die besonders für aufputschende und psychoaktive Substanzen anfällig sind. Oder bin ich eher introvertiert? Gar sozial ängstlich? Dann verspricht etwa der Konsum von Cannabis,  Tranquilizern oder Alkohol, die Ängste zu dämpfen und lockerer – vielleicht unterhaltsamer – zu werden. Neben dem drogenimmanenten Abhängigkeitspotenzial spielt also auch die Wirkweise bzw. die Auswirkung auf das aktuelle Befinden eine entscheidende Rolle. Die Frage ist also „Wie wirksam und hilfreich ist die Droge zur Bewältigung meines Alltags?“

Durchlebe ich gerade eine schmerzhafte Trennung und jemand bietet mir etwas gegen den Blues an, was auch noch Wirkung zeigt, so besteht akute Suchtgefahr. Das persönliche Leid und die sofortige Linderung wirken wie ein „Brandbeschleuniger“ auf die Sucht. Doch es gibt auch die schleichende Suchtentwicklung. Kein Mensch nimmt Drogen mit der Absicht sich in eine Abhängigkeit zu manövrieren. Sucht ist das Ende eines fließenden Übergangs aus gelegentlichem Genuss und regelmäßiger Gewohnheit.

„Ich nehme es nur so lange bis es mir besser geht.“

„Es tut mir gut und ich habe es unter Kontrolle.“

„Ab und zu ist doch okay.“

Jeder kennt die Geschichten, dass auf den einmaligen Konsum sofort die Abhängigkeit folgt. Und dann stellen einige Erstkonsument:innen fest, dass sie an einem Tag konsumiert haben, am nächsten aber nicht konsumieren müssen. Und morgen auch nicht. Sie fühlen sich sicher. Die Droge macht scheinbar nicht süchtig. Dafür war es ein geniales Gefühl. Es vergehen einige Wochen – womöglich sogar Monate – bis der nächste Konsum folgt. Wieder kein Konsumzwang. Abermals ein großartiges Gefühl. Aus „nur gelegentlich“, wird „nur am Wochenende“, wird „nur nach der Arbeit“, wird „mit Drogen arbeite ich eigentlich noch effizienter“, wird letztendlich „nur mit Drogen kann ich meinen Alltag bestreiten“. Es wird nicht mehr konsumiert, weil es guttut, sondern damit es einem nicht schlecht geht. Letztendlich braucht der Körper immer mehr, um einen aushaltbaren Zustand herstellen zu können.

 

Sucht und Gehirn

 

Das menschliche Verhalten ist sehr stark von Belohnungssystemen im Gehirn bestimmt. Unser Gehirn filtert Erfahrungen nach dem Schema „Tut gut und tut nicht gut“. Machen wir etwas, was uns guttut (z.B. ein Stück Schokotorte essen), auch wenn es nicht unbedingt gut für uns ist, schüttet es Glückshormone aus. Diese sollen sicherstellen, dass das Verhalten wiederholt wird. Unser Verhalten wird vor allem durch primäre Belohnungen – wie zum Beispiel Essen, Trinken oder Sex – bestimmt, aber auch durch soziale Prozesse wie Emotionen oder Interaktionen mit anderen Menschen. Alles überlebenswichtig! Drogen wirken nun unmittelbar auf dieses System. In der Folge flutet das Belohnungssystem unser Gehirn mit Glückshormonen. Man ist so richtig high und glückselig. Das ist – zugegeben etwas kurz gefasst – der neurobiologische Aspekt der Sucht.

Darüber hinaus liebt unser Gehirn aber auch Gewohnheiten, Rituale, feste Abläufe.

Gewohnheiten entlasten unser Gehirn. Das ständige Abwägen zwischen „soll ich oder soll ich nicht“, die Zerrissenheit, die Ambivalenz – all das ist anstrengend für unser Gehirn. Deshalb mag es Gewohnheiten, die uns von selbst von der Hand gehen. Wir denken nicht darüber nach, ob wir uns jetzt die Zähne putzen sollen oder nicht – wir tun es einfach. Das läuft ebenso automatisch ab, wie das Einschalten der Kaffeemaschine. Einmal erlernte Gewohnheiten legt das Gehirn ungern wieder ab. Ich könnte Ihnen die Fernbedienung verstecken, Ihren Handyakku entfernen oder Ihnen die Morgenzeitung klauen. Wetten, dass Sie zumindest kurzfristig eine kleine Anpassungsstörung haben. Diese macht sich wahrscheinlich durch eine leichte Nervosität und Unruhe bemerkbar. Ihr Gehirn wird Sie fragen „Was machen wir jetzt?“. Sie überlegen, wie sie sich und ihre Hände beschäftigen könnten. Je nachdem wie flexibel Sie in ihrem Verhalten sind, werden Sie sich schneller oder langsamer anpassen. Und hier sprechen wir von einfachen liebgewonnenen Verhaltensweisen und nicht von hochgradig abhängig machenden Substanzen, die neben dem stark belohnenden Effekt, häufig ritualisiert ablaufen. Die Sucht macht die Konsumierenden unflexibler. Häufig ist der Konsum die Antwort auf alle Probleme und unangenehmen Gefühlszustände: Langeweile – Konsum, Trauer – Konsum, Stress – Konsum. Es fehlt zunehmend an Alternativen. Es fehlt mitunter an Perspektiven. Sucht ist eine „Vollzeitbeschäftigung“ für Körper und Geist. Die Gedanken kreisen beim Aufwachen, um Beschaffung und Konsumgelegenheit. Je nach finanziellen Mitteln und Verfügbarkeit sind Konsument:innen den ganzen Tag damit beschäftigt, ihren Bedarf an Drogen zu decken, d.h. Geld aufzutreiben, Drogen zu beschaffen und letztendlich zu konsumieren. Eine Abstinenz macht diese Menschen schlagartig „arbeitslos“ und einsam. „Was soll ich den ganzen Tag tun?“ fragen sie dann. „Wen soll ich treffen? Meine Freunde konsumieren alle.“

Drogenabhängigkeit ist gekennzeichnet durch den Zwang zum ständigen Konsum eines oder mehrerer chemischer Stoffe, die kein Nahrungsmittel und nicht lebensnotwendig sind. Die chronische Erkrankung „Sucht“ kann geheilt oder zum Stillstand gebracht werden – dies verlangt Ausdauer, die Kraft, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen und die Unterstützung durch ein professionelles Hilfesystem, dass Betroffene und deren Angehörige unterstützt.

 

Was kann ich tun? Wo gibt es Hilfe?

 

Prävention und Aufklärung sind ein wichtiger Grundstein. Die Schulung von Erzieher:innen und Lehrer:innen, die unmittelbar mit jungen Menschen arbeiten, ist ein bedeutendes Element der Suchtvorbeugung.

Niedrigschwellige Kontaktangebote im Rahmen von Streetwork sowie Beratungsangebote und Vermittlungen in andere Hilfen sind weitere Bausteine.

Doch auch schadensminimierende Angebote sind ein wichtiges Element bei der Unterstützung suchtkranker Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass Konsumutensilien kostenlos getauscht und zur Verfügung gestellt werden. Der Suchthilfeverbund gibt an drei Standorten sowie im Rahmen der Straßenarbeit sogenannte „Safer-Use-Artikel“ aus. Das sind saubere Spritzen, Rauch- und Pflegeutensilien.

Naloxon, ein Opiatantagonist, wirkt lebensrettend bei einer Überdosierung. Das Medikament ist verschreibungspflichtig.  Gemeinsam mit einer engagierten Duisburger Ärztin sind der Suchthilfeverbund Duisburg e.V. und die Aidshilfe darum bemüht, möglichst viele Konsument:innen zu erreichen, aufzuklären und mit dem lebensrettenden Medikament auszustatten.

Auch das Vorhalten von sterilen und fachlich begleiteten Drogenkonsumräumen kann verhindern, dass Konsument:innen an einer Überdosis versterben. Schnelles Eingreifen und unmittelbare medizinische Versorgung können Leben retten! Duisburg plant die Eröffnung eines Drogenkonsumraums.

Ebenso kann das Angebot des Drogen-Checks sicherstellen, dass keine gestreckten oder hochdosierten Substanzen konsumiert werden.

Die Anbindung an speziell ausgebildete Suchtmediziner:innen, die Teilnahme an einem Substitutionsprogramm sowie regelmäßige psychosoziale Beratung können einen Weg aus der Szene und der Kriminalität bereiten. Die medizinische Versorgung stellt zudem sicher, dass die Patient:innen regelmäßig auf Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis getestet werden und ggf. schnelle Therapien eingeleitet werden können. Ein vorzeitiges Ableben durch Konsumfolgeerkrankungen lässt sich u.U. verhindern.

Auch Angehörige treffen bei uns in der Beratung auf offene Ohren. Eine Therapievermittlung dauert in der Regel bis zu 6 Monate. Dies ist besonders für Angehörige, die den Motivationsschub des Betroffenen unbedingt nutzen möchten, oft schwer auszuhalten. Sie kommen mit einer enormen eigenen Leidensgeschichte, die bei uns ebenso viel Raum findet, wie die Gespräche mit den Betroffenen selbst. Der Kontakt zu anderen Eltern wird als hilfreich erlebt, weshalb wir gerne auf Elternkreise und andere Angebote von ARWED, eine Initiative für Angehörigen drogenabhängiger Menschen, hinweisen (https://arwed-nrw.de/).

Melanie Köster, Sonja Frunder – Suchthilfeverbund Duisburg

 

Nutzen Sie unsere Angebote: www.suchthilfeverbund-duisburg.de

Gerne unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende: https://www.suchthilfeverbund-duisburg.de/spenden/

 

Weitere Beratungsstellen in Duisburg:

Suchthilfezentrum Nikolausburg https://www.caritas-duisburg.de/hilfen-und-wege/suchterkrankung/suchthilfezentrum/suchthilfezentrum-nikolausburg/suchthilfezentrum-nikolausburg

 

Bürgerhaus Hütte https://www.alexianer-krefeld.de/leistungen/zentren/zentrum-fuer-abhaengigkeitserkrankungen-und-psychosoziale-therapie-in-duisburg

 

AIDS-Hilfe Duisburg https://aidshilfe-duisburg-kreis-wesel.de/